Pflanzt Worte wie Bäume!

Gute, gelingende, nur durch einen Regenschauer etwas abgekürzte Begegnungen bei den Eichbäumen im Kreuzberger Park am Donnerstag! Das Doppelgesicht der Freiheit wurde uns sowohl bei Nâzims Davet als auch bei Hölderlins Eichbäumen sinnlich erfahrbar.

Denn man kann sagen – das ist unser Land / bu memleket bizim – im ausschließenden Sinne wie im einschließenden Sinne!

Sogar zwei verlorene Wandrerinnen aus dem fernen Baden (genauer gesagt: Karlsruhe) schlossen sich unserer Meditation an. „Willkommen zu Hölderlin, dem schwäbischen Dichter! Willkommen zu Hikmet, dem guten Europäer! “ „Wir sind aber aber keine Schwäbinnen, sondern Badenerinnen! Wir leben in einer Zwangsehe mit den Schwaben!“

Nazim Hikmets türkisches Gedicht entfaltete seinen ganzen schillernden Reiz – das Changieren zwischen den geschlossenen Toren der Fremde und dem Öffnen der Tore der Mitmenschlichkeit wurde sehr deutlich!

Unterschiedliche Übersetzungen der Worte Nazims wurden hin und her erwogen!

Interessant waren auch die Beiträge der Teilnehmerinnen, die in der DDR und in der Sowjetunion aufgwachsen waren! Hikmet war in beiden kommunistischen Staaten ein gefeierter Held der Arbeiterklasse, der auf eine Stufe mit Bert Brecht gestellt wurde. Hikmet schmachtete lange in  türkischen Gefängnissen, erhielt Publikationsverbot. Aber weder Brecht noch Hikmet äußerten sich je zu den Untaten und Verbrechen, die die von ihnen so leidenschaftlich unterstützten kommunistischen Parteien begangen hatten. Sie distanzierten sich nicht von den Verbrechen der eigenen Leute.

„Was sind das Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

So dichtete Brecht selbst!

Ein Kind erprobte seinen Hubschrauber – auch dies ein Erschließen des Freiraumes der Luft.

Die kleine Schar versammelte sich abschließend in der guten Stube des Ortsvorsitzenden Johannes Hampel zu einem guten Teller russischen Borschtsches, wo wir eine Flasche italienischen Montepulciano d’Abbruzzo auf den Geist der Freiheit leerten und noch lange in Gesprächen verweilten, stets bemüht um das gute Hören, das Erwidern, das Sprechen des redlichen Wortes!

Bild: Bäume im Hochgebirg, am Jenner bei Berchtesgaden

Gespräche über Bäume: Von Hikmet zu Hölderlin

Treffpunkt:  Donnerstag, 19. Juli 2012, 20.00 Uhr, Park am Gleisdreieck, Kreuzberg-West. Neuer Kiosk am Park-Eingang (von der Hornstraße her, siehe Foto)

Unser Bild zeigt drei junge Eichen im Kreuzberger Park am Gleisdreieck.

Ähnlich wie Nâzım Hikmet ließ sich auch Friedrich Hölderlin durch Bäume zu Betrachtungen über die Freiheit anregen. Friedrich Schiller veröffentlichte 1797 in seiner Zeitschrift Horen folgendes Gedicht, das wir ebenfalls am kommenden Donnerstag um 20 Uhr an dieser Stelle zum Klingen bringen wollen:

Friedrich Hölderlin: Die Eichbäume

Aus den Gärten komm’ ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleissigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt’ und erzog und der Erde, die euch gebohren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt’ ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd’ ich unter euch wohnen!

Quelle:
Friedrich Schiller [Hrsg.]:  Die Horen. Jahrgang 1797, 12. Band, 10.Stück., S. 101

Bu davet bizim – das ist unsere Einladung

Bu memleket bizim – das ist unser Land.
Bu davet bizim – das ist unsere Einladung.
Bu hasret bizim – das ist unsere Sehnsucht.

In den Zeilen Hikmets, die auch am 19. Juli bei unserem Treffen im Park im Mittelpunkt stehen werden,  wird erfahrbar, wie kostbar die Freiheit – selbstverständlich auch die politische Freiheit – ist. Gelingende Politik stiftet Gemeinschaft im Wort: unser Land.

Gelingende Politik schließt andere Menschen, andere Völker ein statt aus: unsere Einladung.

Wie schwer ist es, sich im Gezänk über Geld dieses Wertes bewusst zu bleiben!

Gelingende Politik strebt erlebten Wünschen nach: unsere Sehnsucht.

Gelingende Politik, gelingendes Zusammenleben beruht darauf, dass alle sich dieser Zugehörigkeit, diesem Streben nach Freiheit und Brüderlichkeit verpflichtet wissen.

Hört selbst:

Nâzım Hikmet:

DAVET
Dörtnala gelip Uzak Asya’dan
Akdeniz’e bir kısrak başı gibi uzanan
bu memleket bizim.

Bilekler kan içinde, dişler kenetli, ayaklar çıplak
ve ipek bir halıya benzeyen toprak,
bu cehennem, bu cennet bizim.

Kapansın el kapıları, bir daha açılmasın,
yok edin insanın insana kulluğunu,
bu davet bizim.

Yaşamak bir ağaç gibi tek ve hür
ve bir orman gibi kardeşçesine,
bu hasret bizim.

Quelle:

Türkçe Okuma Kitabı. Erste türkische Lesestücke. Herausgegeben von Celal Özcan und Rita Seuß. Illustrationen von Rita Seeberg. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2. Auflage, München 2011 [=dtv 9482], S. 76