Ein Kommentar des Kreuzberger CDU-Ortsvorsitzenden Johannes Hampel
„Jeder sollte seine Worte wägen.“ So äußert sich Bundeskanzlerin Merkel angesichts der gegenwärtigen angespannten Lage in der Europäischen Union und verschiedener rhetorischer Schnellschüsse aus dem Lager der Regierungskoalition.
Das sind goldene Worte. Es fällt in der Tat auf, dass einige führende Politiker einen scharfen, unversöhnlichen Ton anschlagen: „Ihr habt eure Hausaufgaben nicht gemacht, ihr Faulen müsst raus aus dem Euro!“, „Und ihr Gierigen verdient euch eine goldene Nase am Spread!“, „Wir zahlen nicht für eure Krise!“, „Und wir zahlen nicht für eure Krise!“, „Das Vierte Reich kommt!“.
Es fehlt am guten, gelingenden, verbindenden Wort.
Betrachtet man die Fernsehprogramme unterschiedlicher EU-Länder, so sticht die eindeutig nationale, schrille Färbung der Berichte sofort in Aug und Ohr. Der nationale Unterton verbindet die ansonsten gegnerischen Parteien der Länder auf verblüffende Weise, stellt sie andererseits gegen die vermeintlichen Schwesterparteien in den anderen Ländern. So leitete der italienische staatliche Fernsehsender RAI tre am 28.06.2012 eine Diskussionssendung mit den Worten ein: „Heute abend spielt in der Ukraine Italien gegen Deutschland – und in Brüssel spielt Deutschland gegen Europa. Schauen wir doch mal, wer gewinnt!“
Auch die EVP – also die europäische Parteienfamilie, der die CDU angehört – tritt nicht mit abgestimmten, länderübergreifenden Vorschlägen hervor. In der Krise ist jedes Land sich selbst am nächsten.
Aber auch hier trifft Kanzlerin Merkel am ehesten den richtigen Tonfall: „Wir tragen füreinander Verantwortung.“
Die Worte der Kanzlerin sind Schritte auf dem Weg zur Lösung der Krise. Und das goldene Kriterium der Gangbarkeit einer Lösung ist für alle Außenstehenden, für alle Wähler, die ja naturgemäß die volle Komplexität der Lage nicht kennen, die Gemeinsamkeit des Wortes. Daran fehlt es – noch.
Europa zeigt sich leider als ein noch sprachloser Kontinent. Ein Beleg dafür mag auch sein, dass es nicht einmal gemeinsame Worte für die europäische Hymne gibt. Man hat sich auf eine bekannte Weise unseres Ludwig van Beethoven geeinigt, aber der Text fehlt.
So hat man denn die Teile und die Töne in der Hand, fehlt nur noch das einigende Band. Wo die vielbesungenen Millionen Brüder- und Schwesterherzen nicht zusammenfinden, da helfen auch die vielbeschworenen Millionen oder Milliarden oder besser Billiarden Euro nicht.
In dieser Sprachlosigkeit gibt es keine europäische Identität, wie Jutta Limbach, von 1994 bis 2002 Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, heute sehr treffend in der FAZ ausführt.
Das gute, gemeinsame, das redliche Wort tut not. Aufgabe der Bürger und auch der Politiker wird es sein, in den nächsten Monaten und Jahren solche Wachstumspole der Gemeinschaft des Wortes zu setzen. Das könnte darin bestehen, dass man sich bewusst und beherzt der Sprache eines EU-Nachbarn zuwendet, wir als Deutsche etwa dem Polnischen oder Tschechischen.
Aus der Öffnung zum Nachbarn oder zum „Nächsten“ kann Gemeinschaft des Wortes entspringen. Erst danach, viel später, wird man den Weg zu einer europäischen Identität ertasten können. Erzwingen oder verordnen lässt sich eine Union der Vereinigten Staaten von Europa nicht, auch nicht mit noch so viel Geld.
Unser Bild zeigt die Ölweiden im Garten des Exils am Jüdischen Museum in Kreuzberg, aufgenommen gestern bei einer gemeinsamen Radtour durch unseren Bezirk. Nur aus den gemeinsamen tastenden Wegen der Menschen, nur aus den Ölweiden des freien, verbindenden Wortes kann nach und nach eine echte Europäische Gemeinschaft erwachsen.
Damit alle gewinnen.