… und verstehe die Freiheit zu definieren, als was er sich sieht…

2013-01-16 09.29.17

Alles prüfe der Mensch, sagen die Himmlischen,
Daß er, kräftig genährt, danken für Alles lern
Und verstehe die Freiheit
Aufzubrechen, wohin er wil
l.

Das ist Freiheit in der Sprache des Herzens, ausgedrückt vom schwäbischen Dichter Friedrich Hölderlin in seinem Gedicht „Lebenslauf“. Recht jedes Menschen ist es, die Freiheit zu genießen, aufzubrechen, wohin sie oder will.

In der Sprache der Politik wird man sagen: Jeder Mensch hat das Recht, „selbst zu definieren, als was sie oder er sich sieht“. In der Sprache des Grundgesetzes: „Jeder Mensch hat das Recht zur freien Entfaltung der Persönlichkeit.“

So wie die einen sich als türkische Kurden oder alevitische Türken sehen, so muss man sich als Deutsch-Türke, deutscher Muslim, anatolischer Schwabe, Kreuzberger oder ganz einfach als Europäer definieren können, ohne dass einem jemand sagt, was richtig und was falsch ist.“

So schreibt es ein  schwäbischer Politiker in einem Buch über das Heimatland seiner Vorfahren. Der schwäbische Politiker stellt also wie der schwäbische Dichter die Entscheidungsfreiheit des Einzelnen obenan.  Die Freiheit des Aufbruches zählt mehr als die Unterwerfung unter die Vorgaben der Herkunft.

Hier bekommen wir zugleich den entscheidenden Punkt zu fassen: Nach dem Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland steht der einzelne Mensch, die Person am Anfang der staatlichen Ordnung. Jeder Mensch ist also Inhaber oder „Träger“ letzter, unveräußerlicher Rechte. Die staatliche Ordnung „dient“ nur der Freiheit des Menschen. Die Grundrechte der Person, die Würde des Menschen sind unantastbar. Würde und Freiheit jedes Menschen sind – in der Sprache der Religion geredet – etwas Heiliges, also etwa Unverletzbares. Dem dient die Politik und der Staat. Die oberste Loyalität der Bürger soll also nach dem Willen des Grundgesetzes nicht dem Staat selbst, sondern der Freiheit und dem Recht der Bürger, ja des Menschen überhaupt gelten. Die Selbstbindung des Staates an die Freiheit und Würde des Menschen steht nach dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland über der Bindung des Bürgers an den Staat und seine Institutionen.

„Türkisch ist meine Muttersprache. Wenn ich meiner Mutter meine Zuneigung ausdrücke, dann tue ich das in türkischer Sprache. Möchte ich meinem Vater meinen Respekt bezeugen, so verbeuge ich mich vor ihm und küsse ihm die Hand. So bekundet ein junger türkischer Mann seinen Respekt gegenüber Älteren. Ebenso ist mir die Integrität und Souveränität der Türkei heilig.“
Diese Sätze von Kamuran Sezer werden wohl sehr viele in Deutschland lebende Türken unterschreiben. Die Bindung dieser „Türken mit deutschem Pass“, wie sie sich selber sehen, an ihr eigentliches Vaterland ist ungebrochen. Dies darf uns nicht verwundern, denn so ist das ihnen seit Gründung der Republik im Jahr 1923 ununterbrochen gelehrt worden. Die Staatsordnung der Türkei – dies zeigt jeder Blick in ein türkisches Klassenzimmer, jeder Blick in die türkische Nationalhymne  – lehrt jeden Morgen die unbedingte, gläubige Hingabe des Einzelnen an das Heimatland, Heimatland gesehen als unlösbare Verbindung von „Blut“, also Abstammung, „Land“, also das konkrete Staatsgebiet der Türkei, „Sprache“, also Türkisch, und „Volk“, also Staatsvolk der Türkei, und „Vater aller Türken“, also Kemal Atatürk.
Da wo in kirchlichen Schulen Deutschlands das Kreuz hängt, hängt in türkischen Klassenzimmern die Flagge des unsterblichen Vaterlandes und das Porträt des verehrten Staatsgründers Kemal Atatürk. Ich meine: Wir Deutsche sollten einsehen, dass wir die Türken nicht von ihrer Polung auf das ewige Türkentum umerziehen können. Generationen um Generationen sind in dem unbedingten, religiösen Glauben an die Heiligkeit der Integrität und Souveränität der Türkei erzogen worden. Das gibt man nicht so einfach auf, selbst wenn man über Generationen hinweg im Ausland lebt.
Vorrang der Freiheit des Einzelmenschen vor dem Staat und dem Volk  in Deutschland – Vorrang des Volkes und des Staates vor der Freiheit des Einzelnen in der Türkei: Das ist ein wesentlicher Unterschied zwischen der deutschen und der türkischen Staatsauffassung.
Welche ist nun besser? Das ist in Deutschland  letztlich eine Frage der freien Entscheidung. Die Bundesrepublik Deutschland, das deutsche Volk als Träger der staatlichen Souveränität hat jedoch als Gemeinschaft eine klare Entscheidung getroffen. Die Menschenwürde ist das Wichtigste. Und die Bundesrepublik Deutschland kann von jedem verlangen, der sich dauerhaft als ihr Bürger sieht, dass die Höherwertigkeit der Freiheitsrechte des Einzelnen anerkannt wird. Die Person zählt in Deutschland mehr als das Kollektiv, die individuellen Rechte der Person stehen eindeutig über den Gruppenrechten der verschiedenen „Stämme“ des Staatsvolkes, also der Sachsen, Russen, Bayern, Türken, Thüringer, Polen, Schwaben usw.
Jeder, der hier lebt, hat das unveräußerliche Recht, selbst zu bestimmen, als was er sich sieht. Er kann sich als Türke mit deutschem Pass sehen. Er kann sich als Schwabe mit deutschem Pass sehen. Er kann sich als Deutscher mit schwäbisch-bayerischen Wurzeln sehen, als Atheist mit europäischen Wurzeln oder einfach als ein vielfach bestimmtes, vielfach abhängiges oder vielfach freies Ich. Es kommt letztlich ganz auf die Freiheit des einzelnen an. Solange er das Grundgesetz und die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland achtet, kann er tun und lassen, was er will. Und er kann sich sehen, als was er will.
Er kann seinen Vätern die Hände küssen und dann aufbrechen, wohin er will. Das ist Freiheit.
Zitate:
Friedrich Hölderlin: Lebenslauf. In: Karl Otto Conrady (Hrsg.): Das große deutsche Gedichtbuch. Athenäum Verlag, Kronberg/Ts. 1977, S. 343
Cem Özdemir: Die Türkei. Politik, Religion, Kultur.  Beltz & Gelber, Weinheim 2008, S. 13; Bild eines türkischen Klassenzimmers: S. 189
http://www.tagesspiegel.de/meinung/gastkommentar-tuerke-mit-deutschem-pass-was-sonst/7643930.html
Bild:
Beim Überschreiten des Rheines in Düsseldorf, Aufnahme eines Lechschwaben vom 16. Januar 2013. Denn Freiheit bedeutet Überschreiten von natürlichen Grenzen

Um der Freiheit willen: Hier endete Peter Fechters Weg

Bild

Auf den Tag, ja auf die Sunde genau 50 Jahre danach statten wir der Stelle, an der Peter Fechter verblutete, einen Besuch ab. Steigen ab, falten die Hände. Nur wenige Passanten halten inne. Ein stummer Kaffeetrinker auf dem Trottoir beobachtet die Szene. Das große Gedränge bildet sich zweihundert Meter weiter am Checkpoint Charlie. Etwa 100 bis 200 Meter Entfernung mochten auch damals zwischen Peter Fechter und den Todesschützen liegen. Damals fanden abgerissene, gespenstische Rufe den Weg hin und her über die Mauer der Schande. „Stand fast. Do nothing.“

Und nach etwa 50 Minuten starb ein Mensch. Er schrie nicht mehr. Er wimmerte. Er verstummte.

Er wollte nur die Freiheit.

Und heute?

„Hier endeten meine Wege.“ Mit diesen Worten erinnerte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel im Jahr 2007 am 50. Jahrestag der Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften ihrer gespenstischen Eindrücke von der Berliner Mauer.

Die Berliner Mauer steht heute nicht mehr. Aber sind wir uns dessen auch immer bewusst? Das Leben und die Freiheit des Menschen sind die höchsten Güter. Diese gilt es zu schützen gegen Gewalt, gegen Allmachtsdrohungen der Politik und des Staates.

Nicht das Geld, nicht der Wohlstand, nicht die Währung Euro sind die höchsten Güter.

Sondern der Mensch.

Seine Würde.

Das Leben.

Die Freiheit.

Pflanzt Worte wie Bäume!

Gute, gelingende, nur durch einen Regenschauer etwas abgekürzte Begegnungen bei den Eichbäumen im Kreuzberger Park am Donnerstag! Das Doppelgesicht der Freiheit wurde uns sowohl bei Nâzims Davet als auch bei Hölderlins Eichbäumen sinnlich erfahrbar.

Denn man kann sagen – das ist unser Land / bu memleket bizim – im ausschließenden Sinne wie im einschließenden Sinne!

Sogar zwei verlorene Wandrerinnen aus dem fernen Baden (genauer gesagt: Karlsruhe) schlossen sich unserer Meditation an. „Willkommen zu Hölderlin, dem schwäbischen Dichter! Willkommen zu Hikmet, dem guten Europäer! “ „Wir sind aber aber keine Schwäbinnen, sondern Badenerinnen! Wir leben in einer Zwangsehe mit den Schwaben!“

Nazim Hikmets türkisches Gedicht entfaltete seinen ganzen schillernden Reiz – das Changieren zwischen den geschlossenen Toren der Fremde und dem Öffnen der Tore der Mitmenschlichkeit wurde sehr deutlich!

Unterschiedliche Übersetzungen der Worte Nazims wurden hin und her erwogen!

Interessant waren auch die Beiträge der Teilnehmerinnen, die in der DDR und in der Sowjetunion aufgwachsen waren! Hikmet war in beiden kommunistischen Staaten ein gefeierter Held der Arbeiterklasse, der auf eine Stufe mit Bert Brecht gestellt wurde. Hikmet schmachtete lange in  türkischen Gefängnissen, erhielt Publikationsverbot. Aber weder Brecht noch Hikmet äußerten sich je zu den Untaten und Verbrechen, die die von ihnen so leidenschaftlich unterstützten kommunistischen Parteien begangen hatten. Sie distanzierten sich nicht von den Verbrechen der eigenen Leute.

„Was sind das Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume
ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!“

So dichtete Brecht selbst!

Ein Kind erprobte seinen Hubschrauber – auch dies ein Erschließen des Freiraumes der Luft.

Die kleine Schar versammelte sich abschließend in der guten Stube des Ortsvorsitzenden Johannes Hampel zu einem guten Teller russischen Borschtsches, wo wir eine Flasche italienischen Montepulciano d’Abbruzzo auf den Geist der Freiheit leerten und noch lange in Gesprächen verweilten, stets bemüht um das gute Hören, das Erwidern, das Sprechen des redlichen Wortes!

Bild: Bäume im Hochgebirg, am Jenner bei Berchtesgaden

Gespräche über Bäume: Von Hikmet zu Hölderlin

Treffpunkt:  Donnerstag, 19. Juli 2012, 20.00 Uhr, Park am Gleisdreieck, Kreuzberg-West. Neuer Kiosk am Park-Eingang (von der Hornstraße her, siehe Foto)

Unser Bild zeigt drei junge Eichen im Kreuzberger Park am Gleisdreieck.

Ähnlich wie Nâzım Hikmet ließ sich auch Friedrich Hölderlin durch Bäume zu Betrachtungen über die Freiheit anregen. Friedrich Schiller veröffentlichte 1797 in seiner Zeitschrift Horen folgendes Gedicht, das wir ebenfalls am kommenden Donnerstag um 20 Uhr an dieser Stelle zum Klingen bringen wollen:

Friedrich Hölderlin: Die Eichbäume

Aus den Gärten komm’ ich zu euch, ihr Söhne des Berges!
Aus den Gärten, da lebt die Natur geduldig und häuslich,
Pflegend und wieder gepflegt mit dem fleissigen Menschen zusammen.
Aber ihr, ihr Herrlichen! steht, wie ein Volk von Titanen
In der zahmeren Welt und gehört nur euch und dem Himmel,
Der euch nährt’ und erzog und der Erde, die euch gebohren.
Keiner von euch ist noch in die Schule der Menschen gegangen,
Und ihr drängt euch fröhlich und frei, aus der kräftigen Wurzel,
Unter einander herauf und ergreift, wie der Adler die Beute,
Mit gewaltigem Arme den Raum, und gegen die Wolken
Ist euch heiter und groß die sonnige Krone gerichtet.
Eine Welt ist jeder von euch, wie die Sterne des Himmels
Lebt ihr, jeder ein Gott, in freiem Bunde zusammen.
Könnt’ ich die Knechtschaft nur erdulden, ich neidete nimmer
Diesen Wald und schmiegte mich gern ans gesellige Leben.
Fesselte nur nicht mehr ans gesellige Leben das Herz mich,
Das von Liebe nicht läßt, wie gern würd’ ich unter euch wohnen!

Quelle:
Friedrich Schiller [Hrsg.]:  Die Horen. Jahrgang 1797, 12. Band, 10.Stück., S. 101

Joachim Gauck – ein politisches Vorbild für die CDU!

Freiheit in Verantwortung! Gutes Gespräch über Joachim Gauck gestern bei der CDU Kreuzberg-West. Er gilt uns allen einhellig als Lichtblick in der trüb-funzligen Politiklandschaft, wo praktisch keine Partei mehr einen lebendigen, kraftvollen Begriff von Freiheit anspricht, sondern eher die Bürger mit Staatsgläubigkeit einlullt. Man überbietet sich in Bund und im Land Berlin in sozialdemokratischen Versprechen, die wirklichen Probleme der Finanzkrise werden nicht wirklich benannt und angegegangen. Man schüttet Geld um und schüttet Geld aus. Und fertig.

Da ist Gauck eine hochwillkommene Vorbildfigur, gerade für die CDU!

Bild: am Saaler Bodden, bei Ribnitz. Aus dieser Landschaft stammt Gauck.

Freiheit, die wir meinen

Grundwerte erzählen! Der Kreisparteitag der CDU Friedrichshain-Kreuzberg hat am Samstag stattgefunden. Die politische Lage des Kreisverbandes, die sich in den Wahlergebnissen niederschlägt, wurde ohne Scheuklappen angesprochen.
Der westkreuzberger Ortsvorsitzende Johannes Hampel warb nachdrücklich für ein klares, strahlendes Bekenntnis zum Grundgedanken der Freiheit in Verantwortung. Joachim Gauck habe dieses christlich-demokratische Wertepaar auf herausragende Weise in seiner Autobiographie „Winter im Sommer – Frühling im Herbst“ erzählt. Jeder einzelne Kreuzberger Mensch, jede Kreuzberger Familie mit Vater, Mutter und Kindern könne dies ebenfalls vorleben.
Die Zusammenlegung der drei Kreuzberger Ortsverbände wurde durch Satzungsänderung bei einer Enthaltung beschlossen. Die CDU Kreuzberg-West besteht noch solange, bis die drei Ortsverbände sich förmlich vereinigt haben.

Lest und lebt „Freiheit, die ich meine!“, in:
Joachim Gauck: Winter im Sommer – Frühling im Herbst. Erinnerungen. In Zusammenarbeit mit Helga Hirsch. Sechste Auflage. Pantheon-Ausgabe. Siedler Verlag, München 2011, S. 331-342

Zitat aus diesem Buch, S. 77:

„…die Ostsee, eine Ahnung von Weite, Ferne, Freiheit. Für einen schönen Moment sind wir nur bei dem, was uns träumen lässt. Wenn wir uns umdrehen, werden wir ein anderes Gesicht haben.“

Bild: An der Steilküste zwischen Wustrow und Ahrenshoop, Aufnahme aus dem Juli 2011.

Wer macht Europa?

Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Prof. Dr. Annette Schavan, hat sich am 14.12.2011 Zeit genommen, um uns einige Fragen zu Kernthemen unseres Ortsverbandes, nämlich Bildung, Europa und Freiheit zu beantworten.

CDU Kreuzberg-West: Vor kurzem sorgte der Lernatlas der Bertelsmann-Stiftung für Aufsehen. Darin werden große Bildungsunterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern und gar zwischen einzelnen Landkreisen aufgezeigt. Wie verhält sich dies zur ausgerufenen Bildungsrepublik Deutschland?

Annette Schavan: Bildung ist für jeden Einzelnen in unserer Gesellschaft wichtig. Denn Bildung ist der sicherste Weg aus der Armut, eine gute Ausbildung immer noch der beste Schutz vor Arbeitslosigkeit. Und: Bildung sichert Teilhabe an der Gesellschaft, Bildung trägt zur Integration in einem umfassenden Sinne bei. Deshalb wollen wir, dass Kinder, egal aus welchen Gründen sie benachteiligt sind, bessere Teilhabe an Bildung bekommen. Wir sind dabei auf einem guten Weg. Ich will hier nur einige wenige Beispiele nennen: Die Schulabbrecherquote konnte von 8,5% im Jahr 2004 auf 7 Prozent im Jahr 2009 gesenkt werden. Die Studienanfängerquote ist 2011 auf weit über 50 Prozent gestiegen und hat damit das vereinbarte Ziel von 40 Prozent deutlich überschritten. Die Zusammenarbeit von Kitas und Grundschulen wird verbessert. Wir haben die Sprachförderung vor der Einschulung verstärkt. Das Bundesbildungsministerium fördert mit insgesamt 26 Millionen Euro das Projekt Lesestart der Stiftung Lesen, bei dem 4,5 Millionen Lesestartssets an Eltern kostenlos verteilt werden – das erste bei der Vorsorgeuntersuchung in der Kinderarztpraxis. Wir haben das Programm der Bildungsketten gestartet: Über 3000 Bildungslosten begleiten Jugendliche ganz individuell bis in die Ausbildung hinein.

Es ist also viel in Bewegung. Der vor kurzem vorgestellte Lernatlas der Bertelsmann-Stiftung wird die weitere Bildungsdebatte sicher bereichern. Er ist eine wichtige Fundgrube für die verschiedenen Bedingungen, unter denen sich Bildungsbiografien gut entwickeln können. Denn klar wird: Nicht nur auf die Schule, sondern auch auf das gesellschaftliche Umfeld kommt es an.

CDU Kreuzberg-West: Es wird ja oft gesagt, dass es bisher nicht gelungen sei, die Europäische Union ins Kleine und Menschliche zu übersetzen. Sie sei im Wesentlichen ein institutionenverankertes Projekt der politischen und wirtschaftlichen Eliten. Nur der werde die zweite Eurosklerose auflösen können, der „die Kunst der großen Deutung“ beherrsche.¹ Europa sollte nach Ansicht dieser Kritiker also im Wesentlichen mehr durch das lebendige Wort, durch einen kulturellen Kanon, durch zahllose kleine und große Erzählungen zusammengehalten werden. Wie stehen Sie als Bildungspolitikerin dazu?

Annette Schavan: Wer über Bildung und Kultur in Europa spricht, beschäftigt sich mit dem eigentlichen Reichtum Europas, mit der Quelle künftigen Wohlstandes. Deshalb muss intellektueller, sozialer und kultureller Fortschritt weiter zu unseren ehrgeizigen Zielen gehören. Wir arbeiten deshalb an einem Bildungsstandort Europa. Als ein Stichwort nenne ich nur den Bologna-Prozess, der die Vergleichbarkeit von Studienstrukturen und -abschlüssen zum Ziel hat. Mit europäischen Bildungsprogrammen fördern wir den Austausch von Schülern, Auszubildenden und Studenten. Wir wünschen uns, dass junge Leute aus Deutschland, Polen, Frankreich, Spanien und in den übrigen Mitgliedsstaaten der EU sich auch als junge Europäer verstehen. Sie sollen Europa als Friedens- und Freiheitsgemeinschaft erfahren und Kenntnisse über Europäische Kultur und Werte erwerben.

Das ist eigentlich nichts Neues. Es ist in gewisser Hinsicht eine Rückkehr dahin, was Europa in den frühen Jahrhunderten ausgemacht hat. Vor über 400 Jahren hat Miguel de Cervantes gesagt: „Europa wurde von den Pilgern gemacht.“ Die großen Europäischen Pilgerwege waren – anders als die Verkehrsadern heute – von geistigem Austausch und gegenseitigem Kennenlernen geprägt. Auf Pilgerwegen bewegt man sich Schritt für Schritt mit vielen Begegnungen. So stelle ich mir das gemeinsame Europa vor.

CDU Kreuzberg-West: Ist eigentlich das Ziel der Freiheit für Erziehung noch angemessen in Zeiten wie den unseren? Sagen uns nicht die Demoskopen, dass bei der Wahl zwischen Freiheit und Sicherheit die Bürgerinnen und Bürger Sicherheit bevorzugen und selbst in der Gegenüberstellung die Sicherheit dem Wohlstand vorziehen? Ist Freiheit also geeignet, der Erziehung ein überzeugendes Ziel zu geben?

Annette Schavan: Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass wir die Idee der Freiheit als Ziel von Erziehung wiederentdecken müssen. Wir sollten uns wieder darüber klar werden, dass Erziehung – und auch Bildung – nicht in Institutionen beginnt. Sie beginnt beim Menschen selbst, bei den Beziehungen in der Familie, in Gruppen und später auch in Schule und Ausbildung.

Selbstbewusstsein erwächst aus damit verbundenem Vertrauen. Wenn wir uns selbst erinnern an entscheidende Situationen unseres Lebens, dann stoßen wir auf Menschen, die entscheidend waren. Erziehung zur Freiheit braucht aber auch eine Renaissance kultureller Bildung. Der Reichtum unserer Kultureinrichtungen in Deutschland bietet sich geradezu an, für Erfahrungen mit Literatur, Musik, Kunst und Theater besser erschlossen zu werden. Ein prominentes Beispiel für solche Programme ist die Arbeit der Berliner Philharmoniker mit Kindern aus Brennpunktschulen in Berlin. Die Freiheit als Ziel von Erziehung lehrt uns, die Dinge anders und neu zu sehen, und darin auch sich selbst zu entdecken mit all dem Potential, das in jedem Menschen steckt.

¹Zitatnachweis:
Das Zitat zur „Kunst der großen Deutung“ (Frage 2) findet sich hier:
Werner Weidenfeld: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Werner Weidenfeld/Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z. Taschenbuch der europäischen Integration. Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden, 12. Auflage 2011 [=Lizenzausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 2011] S. 11-45, hier S. 45. Das Buch ist wohlfeil zum Preis von 7.- Euro in der Bundeszentrale erhältlich! Empfehlung der Redaktion

Für eine arme Politik, oder: die Genesung der öffentlichen Finanzen aus dem Geist der Nächstenliebe

Die Lebenserzählung der neuen Senatorin Dilek Kolat, von ihr selbst erzählt, ist ein strahlendes Beispiel für die Bedingungen, unter denen das Leben der Person gelingen kann: Eltern, Nachbarn, Schule, all die kleinen zahlreichen Gemeinden und Gemeinschaften sollen Hand in Hand arbeiten. Persönliche Vorbilder sind unerlässlich: Das können Vater, Mutter, Onkel, Tanten, Lehrer, Geschwister, Nachbarinnen und Nachbarn sein.

Na schaut her! So läuft es, Eltern, Schule, die Nachbarn, alle müssen zusammenwirken, dann gelingt das Leben der Menschen. Dies macht uns Hoffnung!

Aus dieser persönlichen Erfahrung des vorbildlichen Nächsten entsteht Freiheit. Die Freiheit entsteht dann, wenn das Kind sagt: „Ich möcht ein solcher werden, wie dieser Mensch, dieser Mann, diese Frau eine gewesen ist.“ Dasselbe hört man heute immer wieder:  „Es braucht Mut zur Integration!“

Die Politik kann die lebendige Erfahrung des Nächsten nicht ersetzen, sie kann allenfalls äußere Bedingungen für die Entfaltung der Kräfte des Nahen und Nächsten fördern!

Wenn die Politik ihre Begrenztheit nicht erkennt, wenn sie sich nicht im Geiste arm macht, wird sie zur Geldverteilungsmaschine. Von einer Geldverteilungsmaschine verwandelt sie sich über die Jahre und Jahrzehnte hin in eine Geldverschwendungsmaschine. Genau das konnten und können wir im Bundesland Berlin ebenso wie in diesen Tagen auf höchster europäischer Ebene eindrücklich und in höchstem Maße erschreckend verfolgen.

Ein englisches Wort für den Nächsten lautet der Nachbar. Love thy neighbour! Die tätige Hinwendung zum Nächsten, zum Nachbarn ermöglicht Bindung. Bindung zwischen Menschen ermöglicht Bildung.

Frau Kolat hebt auch die überragende Bedeutung der kanonischen Werke der deutschen Kultur hervor, hier etwa der Grimmschen Märchen, die ja erst seit wenigen Jahren von der pädagogischen Fachwelt wieder gewürdigt werden, nachdem sie etwa ab 1980 in den Orkus der pseudo-emanzipatorischen Bewegung verbannt worden waren. Da wir nun einmal alle in Deutschland leben, sollten wir Menschen in Deutschland, egal ob alte oder neue Deutsche, auch deutsche Sprache und deutsche Kultur ernst nehmen und nicht glauben, dass erst ab 1980 das Heil der Menschheit aus den Proseminaren der Universitäten hergebrochen ist.

Ihr seht, es kommt alles wieder: Der Geist der Nächstenliebe, die Einsicht in die Unverzichtbarkeit eines lebendigen Kanons, die überragende, verwandelnde Kraft des Wortes.  Das meiste andere löst sich von selbst. Ama et fac quod vis, tue etwas für den Nächsten, setz dich ein, sei ein Vorbild, werde der, der du werden willst, da hat er schon ins Schwarze getroffen, unser Bruder Aurelius Augustinus.

Aus dieser Einsicht heraus, dass GELD nur dient, aber niemals die tätige NÄCHSTENLIEBE ersetzen kann, kann auch eine Gesundung der Staatsfinanzen erwachsen.

Wir wünschen der neuen Senatorin Glück, Gesundheit, unerbittliche Strenge mit Kolleginnen und Kollegen im Senat, weiterhin viel Mut – und einen guten Taschenrechner. Hepimiz insaniz!

Bild: Ein Radfahrer am Scheidewege – wohin wird er fahren? Zum Finanzminsterium in der Wilhelmstraße oder rechts abbiegend in die Kochstraße zum Checkpoint Charlie und in die Rudi-Dutschke-Straße? Antwort: Wir wissen es nicht. Der Radfahrer hat die Freiheit der Wahl. Er ist ein freier Mensch. Aber er muss sich entscheiden. Beides geht nicht.

Senatorin Dilek Kolat: Deutsch hat sie erst in der Schule gelernt – Berlin – Tagesspiegel.

Wie kannst du dich befreien …, z.B. von Rückenschmerzen?

Etwa 50 Milliarden Euro werden in Deutschland pro Jahr für die Behandlung von Rückenschmerzen ausgegeben. Das meiste davon – so weist der aktuelle SPIEGEL – nach, ist falsch ausgegeben. Die teure, häufig operative Behandlung schafft selten Linderung und verstärkt das Krankheitsgefühl unnötig. Ganz anders die sanfte Tour der Selbstverantwortung: Rückengymnastik, Yoga, Sport, sinnvolle, häufige und regelmäßige Bewegung verhindern oder lindern Rückenschmerzen meist zuverlässig.  „Dauerstress und verkümmerte Muskeln sind die Hauptgründe für den Rückenschmerz. Wer selber aktiv wird, kann die Pein besiegen„, so das Fazit des Magazins auf S. 132.

Diesem Thema widmet sich auch eine konzentrierte Übungseinheit am kommenden Donnerstag:

Donnerstag, 6. Oktober 2011, 17.00 Uhr: Jahn trifft Jane. Der neue Kreuzberger Gleisdreieck-Park ermuntert zu körperlicher Ertüchtigung, zu Gemeinsinn und Leistung. Wir treffen uns im Geiste des Turnvaters Friedrich Ludwig Jahn und der Hüpfmutter Jane Seymour Fonda zu Parkbesichtigung, bürgerlichem Platzputz und präventiver Rückengymnastik. Treffpunkt: Haupteingang an der Hornstraße

Anschließend ab 18 Uhr, Wirtschaft Stresemann, Stresemannstraße 48: Einläuten des Schreibwettbewerbs „Was mir am neuen Gleisdreieck-Park gefällt und was ich dafür tun möchte, dass es so bleibt“.

Unterwerfung, Assimilation oder Integration des Fremden?

Politikselbermachen befasst sich mit russisch-kaukasischer Geschichte.

Der Historiker Dr. Christian Dettmering hat die Geschichte des Russischen Reiches im 19. Jahrhundert studiert. Er untersuchte in seiner Dissertation die damaligen Versuche Russlands, zwei als fremdartig und später auch widerspenstig erlebte Völker, die Inguschen und die Tschetschenen, dem eigenen Machtanspruch zu unterwerfen. Auch heute treten wieder dieselben Konfrontationen/Konfrontationslinien in den Republiken des Nord-Ost-Kaukasus auf, die bereits im 19. Jahrhundert vorherrschten.

Wie versuchte der russische Staat die „Integration“ oder „Assimilation“ der beiden Völker zu bewirken? Welche Rolle spielt die Religionspolitik gegenüber den beiden islamischen Völkern dabei? Können wir in Deutschland Lehren daraus ziehen?

Es wird spannend!

Sitzung am Donnerstag, 25.08.2011, 18 Uhr, Wirtschaft Stresemann, Stresemannstraße 48