Wie schafft sich Kreuzberg bessere Schüler? Diagnose und Therapie (1)

Bericht vom Themen-Abend der CDU Kreuzberg-West am 08.09.2011, Wirtschaft Stresemann

Ortsvorsitzender Johannes Hampel begrüßte in Anwesenheit von Kurt Wansner MdA, unserem CDU-Direktkandidaten  im Wahlkreis 1, alle Gäste aus der Schulpraxis, aus Zivilgesellschaft und Politik, insbesondere

Alexander Ott, den Koordinator der deutsch-russischen Lomonossow-Grundschule Berlin, und

Gilles Duhem, Projektleiter aus dem Gemeinschaftshaus Morus 14 e.V, Koordinator im Netzwerk Schülerhilfe Rollberg.

Die Überlegungen begannen sofort ohne das übliche seiernde Drumherumreden. Als gemeinsamer Befund für Kreuzberg und Neukölln erarbeiteten wir im Konsens: Die sozialräumliche Spaltung Kreuzbergs ist weit fortgeschritten, es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass die auseinanderstrebenden Milieus zusammenkommen. Kreuzberg besteht aus parallel nebeneinanderherlebenden Sozialräumen. Sie reden kaum miteinander. Man kann sie mit getrennten Aquarien vergleichen. Ganz im Gegenteil verlasssen weiterhin die sogenannten Mittelschichtfamilien die „sozial schwachen“ Quartiere spätestens dann, wenn eigene Kinder in die Grundschule eintreten.

Was ist die „Mittelschicht“? Als Mittelschicht galt an diesem Abend eine Familie, die für ihre Kinder gezielt eine vollständige schulische Ausbildung und spätere legale Erwerbstätigkeit anstrebt. Bildung gilt als hohes Gut, die Eltern wollen Erziehung für ihre Kinder und sind bereit, dafür Opfer zu bringen.

Zurück bleiben in Kreuzberg und Neukölln gehäuft die sogenannten bildungsabgewandten Unterschichtfamilien: In diesen Familien herrscht meist kein erkennbarer Wille, die Kinder zum schulischen Erfolg zu führen. Die allermeisten sogenannten Unterschicht-Familien leben in beträchtlichem materiellem Wohlstand von Sozialhilfe, nicht angemeldeter Arbeit und sonstigen nichtamtlichen Einkommensquellen. An manchen Neuköllner und Kreuzberger Grundschulen stammt nahezu die komplette Schülerschaft aus diesen Familien, an anderen ein großer Teil. „Unterschicht“ bedeutet also keineswegs materiell arm, sondern bildungsfern, statusverharrend und abhängig von staatlichen und familiären Hilfesystemen.  Kindesvernachlässigung, Schulversäumnisse, früher Einstieg in Kriminalität sind ebenfalls Anzeichen von „Unterschicht“.

Materielle Armut gibt es sowohl in Kreuzberg wie in Neukölln nur bei alleinlebenden Alten, jedoch nicht in der Unterschicht.  Die Rede von „Berlin als Hauptstadt der Kinderarmut“ ist in hohem Maße sinnwidrig und irreführend.

Als größter Fehler der Politik und der Schule der vergangenen Jahrzehnte kann eine Neigung zu Weichheit, Gleichgültigkeit, herblassender Bevormundung gegenüber den Mündeln des Sozialstaates, etwa den „Migranten“, und falsche Toleranz gegenüber Disziplinlosigkeit gelten.

Den Schülern in Kreuzberg fehlt es heute sehr oft an grundlegenden Fähigkeiten im Bereich Bewegung, Aufmerksamkeit, Konzentration und Disziplin. „Berlin ist die Hauptstadt der Gammelei.“ So schroff drückte es ein Teilnehmer aus.

An ihren Eltern erfahren die Kinder Tag für Tag, dass man ohne Kenntnisse des Landes und der Landessprache, ohne Verbindlichkeit, ohne Verpflichtungen wunderbar über die Runden kommt und sogar noch erklecklichen Wohlstand anhäufen kann: ein – jedenfalls aus der Sicht der Mittelschicht – verheerendes Vorbild. Allerdings entfällt so jeder Zwang zur Bildung, geschweige denn zu Integration und Aufstieg: „Wir haben alles, was wir brauchen.“

Die gesamte Integrationsdebatte  ist in diesem Licht eine fruchtlose Debatte der Mittelschicht mit der Mittelschicht.

Der Bericht von Barbara Kerbel im Tagesspiegel vom 06.09.2011 Integration an Schulen: Ohne Härte geht es nicht wurde in Kopie verteilt, besprochen und zustimmend zur Kenntnis genommen: „Diese Jugendlichen drücken es genauer, treffender aus als alle Theoretiker und alle Erwachsenen: Ohne Strenge geht es nicht. Verbindlichkeit, Zwang, ja sogar Sanktionen sind Mittel, die die Jugendlichen selber einfordern – auch gegenüber ihren eigenen Eltern, die ihrer Verantwortung nicht nachkommen.“

„Das erste, was die Kinder lernen müssen, wenn wir sie an Bildung und an einen späteren ordentlichen Beruf heranführen, ist Struktur und Benehmen. Sie müssen lernen, Struktur in den Alltag hineinzubringen, sich an Verbredungen zu halten, Termine einzuhalten. Wenn jemand anruft um abzusagen statt einfach wegzubleiben, ist das schon ein Erfolg! Dazu brauchen wir die Eltern. Wir erziehen Eltern und Kinder dazu, ihrem Tagesablauf ein Gerüst zu geben.“

Gilles Duhem erzählte anschaulich von dem mühseligen Geschäft der Nachmittagsbetreuung, wo Freiwillige mit den Kindern lernen, Spiele spielen, Hausaufgaben machen, kleine Ausflüge machen, Unterhaltungen führen, musizieren oder basteln.

Für viele Kinder ist dies der rettende Strohhalm: Hier kümmert sich jemand um sie. Hier will jemand, dass sie weiterkommen.

Und die anderen, die Mittelschichtfamilien, die Zuwanderer der ersten Generation aus anderen Bundesländern, aus Russland, die deutschen Spätaussiedler, die jüdischen Kontingentflüchtlinge, die Immigranten der ersten Generation aus Korea, Polen, China? Sie sind entsetzt über den Schlendrian, die Leistungsunlust, das Chaos an den staatlichen Grundschulen Berlins. Das haben sie nicht erwartet, als sie nach Berlin übersiedelten: Sie treffen als Zuwanderer auf eine verfestigte, wachsende Schicht der Unbeweglichen, ein entwicklungsfeindliches, über Generationen gewachsenes Umfeld, das das Geschehen an den staatlichen Grundschulen in vielen Stadtteilen dominiert.

An vielen Kreuzberger Schulen ist Normalität völlig verlorengegangen. Der Unterricht in Rechnen, Lesen und Schreiben, in Singen und Turnen findet über weite Strecken nicht statt. Viel zu viele Kinder lernen über Jahre des Schulbesuches hinweg in Kreuzberg (wie in Neukölln, Wedding oder Schöneberg) weder Lesen noch Schreiben, schlimmer noch: sie lernen es nicht zu lernen. Sie nisten sich ein in ihrer kleinen behaglichen Nische des planlosen Nichtstuns.

Was tun? Fliehen? In andere Bezirke, andere Bundesländer weiterziehen? Zurück ins Herkunftsland?

Enden die Gleise für Kreuzberger Schüler in der Wildnis? Sind die Kreuzberger Schulen Stummel- und Stumpfgleise, die im Gestrüpp enden, wie sie oben in unserem Bild vom neuen Park am Gleisdreieck zu sehen sind?

Wir gaben so schnell nicht auf, wir entwickelten echte Lösungsansätze! Lest morgen weiter!

(wird fortgesetzt)

2 Kommentare zu “Wie schafft sich Kreuzberg bessere Schüler? Diagnose und Therapie (1)

  1. Pingback: Armes Kreuzberger Blog » Blog Archive » Wie schafft sich Kreuzberg bessere Schüler? Diagnose und Therapie (1)

  2. Pingback: Vom Goldstaub der Zukunft – ist Neukölln auch in Kreuzberg? « Politikselbermachen. CDU Kreuzberg-West

Hinterlasse einen Kommentar